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Corona Umfrage Pferdesport

Die Situation der Schul- und Voltigierpferde in NRW während der Pandemie

Mit den Ergebnissen einer Befragung möchten die NRW-Pferdesportverbände den Blick für die wirtschaftliche Situation der Schulpferdehaltung in den Vereinen und Reitschulen in Coronazeiten schärfen.

Fazit: Die staatlichen Hilfen greifen vielfach, erreichen aber nicht alle Reitschulen. Ein Drittel der Vereine und die Hälfte der Betriebe sieht den Schulpferdebereich oder sogar den gesamten Betrieb in einer existenzbedrohten Lage. Vielfach steht die Abschaffung von Schulpferden bevor oder erfolgt bereits.

Von Mitte Dezember bis Mitte Januar bestand für Reitvereine und Reitschulen die Möglichkeit, freiwillig und anonymisiert Aussagen zur coronabedingten Lage und der Perspektive ihrer Schul- und Voltigierpferde-Abteilungen zu machen.

Schulpferde sind das Herz des Pferdesports. Ohne Schul- und Voltigierpferde fehlen besonders für Kinder und Jugendliche die Zugangsmöglichkeiten zum Sportpartner Pferd.  Kaum ein Reiter, der seine ersten Erfahrungen nicht auf dem Rücken eines braven Schulpferdes gemacht hätte und sich sein Leben lang an diesen besonderen Vierbeiner erinnert. Auch in zahlreichen Kooperationen mit Schulen und Kindergärten sind Schulpferde die Hauptakteure.

Von den Einschränkungen während der Corona-Pandemie sind die Schulpferde- und Voltigierabteilungen massiv betroffen. Sie fallen unter die Regelungen des Freizeit- und Amateursports, der entsprechend der NRW-Coronaschutzverordnung erneut seit Wochen einem vollständigen Stillstand unterliegt.

Während sich für die notwendige Versorgung und tierschutzgerechte Bewegung der Schulpferde vorübergehend provisorische Lösungen gefunden haben, ist dies für die wirtschaftliche Situation vielfach nicht der Fall. Schulpferde müssen in der Regel für ihren Lebensunterhalt arbeiten.

Die Kosten, etwa für Futter, Tierarzt und Hufschmied, werden aus den Einnahmen der Reit- oder Voltigierstunden bestritten. Darf dieser nicht stattfinden, müssen die notwendigen Mittel anderweitig bereit gestellt werden. Das jedoch wird zu einem zunehmend größeren Problem.

Die jetzt gewonnen Zahlen helfen dabei, die teils bedrohliche Situation sichtbarer zu machen. Dabei geht es auch um die Frage, ob Schulpferdeabteilungen hinreichend an den aufgelegten  Corona-Hilfsprogrammen teilhaben können.

An der Befragung haben insgesamt 471 Pferdesportvereine und -betriebe aus Nordrhein-Westfalen teilgenommen.

Zahl der Schul- und Voltigierpferde

Die Gesamtzahl der Schul- und Voltigierpferde, die in Nordrhein-Westfalens Vereinen und Reitschulen gehalten werden, ist nicht erfasst.
Die Befragungsergebnisse spiegelt die Situation von ca. 4.000 bis 5.500 Schulpferden. Die Unschärfe resultiert daraus, dass ab einem Bestand von mehr als zehn Schulpferden in Zehnerschritten erfasst wurde. 125 der teilnehmenden Vereine und Betriebe halten Voltigierpferde. Ihre Zahl beträgt 347. Sie sind in den zuvor genannten Gesamtzahlen bereits enthalten.

Bekanntheit der wirtschaftlichen Hilfen

85 Prozent der Teilnehmenden haben angegeben, dass ihnen die die staatlichen Unterstützungsprogramme (beispielsweise Soforthilfe, Novemberhilfe oder Soforthilfe Sport) bekannt sind.
Allerdings sind die Förderkriterien nicht leicht zu erfassen. Bei der freiwilligen Angabe zur Verständlichkeit haben mehr als 180 Teilnehmende mit der Vergabe von nur einem oder zweien von fünf möglichen Sternen deutlich gemacht, dass Nachvollziehbarkeit und Verständnis der Kriterien für sie nicht unproblematisch sind.

209 von 471 teilnehmenden Vereinen und Betrieben haben zum Zeitpunkt der Befragung Anträge zu den Hilfsprogrammen gestellt. 72,2 Prozent der gestellten Anträge wurden bewilligt. Das klingt zunächst gut. Doch es fällt auf, dass der größere Teil der Befragten keinen Antrag gestellt hat. 

Wenn keine Hilfen beantragt wurden: Was sind die Gründe?

Die Förderkriterien der Programme werden von Vereinen und Betrieben als größtes Problem genannt. Daneben spielen auch die Kompliziertheit und der benötigte Zeitaufwand für die Beantragung eine kleinere Rolle.

Besonders zwei Kriterien für den Anspruch auf staatliche Unterstützung identifizieren die Antwortenden in Freitext-Feldern der Befragung als Fallstrick für Schulpferdebetriebe.

Reitschulen, die im Nebenerwerb geführt werden, können in der Regel keine Hilfen beantragen. Dieser Ausschluss trifft besonders kleine Einrichtungen, beispielsweise oft auch Existenzgründer. Nicht selten werden sie von Personen betrieben, die im Haupterwerb in einem Angestelltenverhältnis teilzeitbeschäftigt sind und mit einem zweiten Standbein an den Nachmittagen etwa mit einer kleinen Ponyreitschule Kinder an das Pferd heranführen.

Bei Betrieben mit mehreren Zweigen – häufig Pensionspferdehaltung und Schulbetrieb – verhindert der in der Regel deutlich höhere Umsatz des Pensionsbetriebes die Antragsstellung. Dieser Umstand wird von Vereinen und Betrieben gleichermaßen benannt.

Beide Betriebsformen kommen im Pferdesport häufig vor.

Kein ernsthaftes Hemmnis sollte sich hingegen aus der empfundenen Kompliziertheit der Beantragung ergeben. Für gewerbliche Betriebe gilt die Vorschrift, dass die Beantragung nur über Steuerberater möglich ist. Für Vereine steht zuvorderst die Soforthilfe Sport zur Verfügung, deren Abwicklung in einem schlanken Verfahren über den Landessportbund NRW erfolgt, der die Vereine dabei unterstützt und betreut.

Wir haben die Vereine und Betriebe gefragt, die keine Corona-Hilfen beantragt haben, warum kein Antrag gestellt wurde.

Die Folgen fehlender finanzieller Mittel

Schulpferdebetriebe- oder abteilungen können keine oder so gut wie keine Einnahmen erwirtschaften, solange die NRW-Coronaschutzverordnung den Freizeit- und Amateursportbetrieb unterbindet. Gleichzeitig laufen die Kosten für den Unterhalt der Schul- und Voltigierpferde unverändert weiter. Futter, Schmied, Tierarzt – diese Kosten lassen sich nicht reduzieren. Manche Betriebsleiter befürchten sogar das Gegenteil und merken an, dass sie den Tierarzt momentan häufiger rufen müssen, weil sie beispielsweise vermehrt Koliken beobachten. Ob hier ein Zusammenhang mit dem derzeitig deutlich reduzierten Pensum der Pferde besteht, lässt sich jedoch nicht belegen.

„Unseren älteren Schulpferden (ü 20, alles ehemalige Turnierpferde) schadet die reduzierte Bewegung massiv.“

„Zudem haben wir beim ersten und zweiten Lockdown innerhalb der ersten 14 Tage ein Pferd mit beginnender Kolik gehabt, da die Pferde scheinbar die Umstellung schlechter verkraften.“

Vereine und Betriebe haben im Rahmen der Befragung eine Einschätzung zur existenziellen Perspektive abgegeben. Das Ergebnis der subjektiven Situationseinordnung ist erschreckend.

Ein Drittel der teilnehmenden Pferdesportvereine sieht seine Voltigierabteilung, seine Schulpferdeabteilung oder sogar den gesamten Verein in seiner Existenz gefährdet.

Bei den nicht-vereinsgetragenen Betrieben fällt die Einordnung noch dramatischer aus. Hier sehen etwas mehr als die Hälfte der Antwortenden (51,8 %) die Schulpferdeabteilung oder den gesamten Betrieb in seiner Existenz gefährdet.

Mehrheitlich fürchten die antwortenden Vereine und Betriebe, die sich in einer existenzbedrohlichen Situation sehen, dass sie das erste Quartal 2021 nicht überstehen. Bewahrheitet sich diese Einschätzung und bleiben die Rahmenbedingungen zum Lockdown und zu den wirtschaftlichen Hilfen unverändert bestehen, werden allein aus den Reihen der Befragungsteilnehmer knapp 40 Pferdesportvereine und mehr als 90 der Reitschulen im Sommer nicht mehr da sein.

Weitere 53 Vereine und Betriebe schätzen, dass sie nur noch bis zu sechs Monate durchhalten werden. Einige befürchten, dass sie bereits den kommenden Monat nicht mehr überstehen.

Vereine und Betriebe befürchten die Abschaffung vieler Schulpferde

Für den Fall, dass auf Grund der Pandemie Schulpferde abgeschafft werden müssen, beziffern die Vereine deren Anzahl auf mehr als 300.
38 Vereine geben bereits zum Zeitpunkt der Befragung ganz konkret an, dass sie Schulpferde abschaffen müssen.

Bei den gewerblichen und landwirtschaftlichen Betrieben / Reitschulen, ist die Zahl der Schulpferde, die von der Abschaffung bedroht sind, mit 561 Pferden nahezu doppelt so hoch. Hier sind es 98 Betriebe, die zum Zeitpunkt der Befragung bereits die Feststellung treffen, dass sie die Schulpferde voraussichtlich nicht weiter finanzieren können.  
Teilweise – so geht es aus den freien Anmerkungen zur Befragung hervor – hat die Reduzierung des Schulpferdebestandes bereits begonnen.

Was Vereinen und Betrieben zudem unter den Nägeln brennt

Die Befragung gab an mehreren Stellen Gelegenheit, weitere Anmerkungen zu machen.

Zu den häufigen Äußerungen gehört das Unverständnis zum pauschalen Verbot des Trainings und des Reitunterrichts, besonders des Einzelunterrichts, in Nordrhein-Westfalen. In dieser strengen Form gibt es das in den angrenzenden Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen nicht. Viele Reitschulen wünschen sich auch in NRW zumindest eine Möglichkeit für kontaktlosen Einzelunterricht, der ihnen eine kleine Einnahmemöglichkeit verschaffen würde. Hierzu erreichen die Verbände täglich Anfragen und Kritik.

Als besonders belastend wird auch die unklare zeitliche Perspektive genannt. Der fehlende Planungshorizont vertieft die Besorgnis um die wirtschaftliche Perspektive und um die Zukunft der Schulpferde. 

„Es ist sehr schwer die Regelungen zu akzeptieren, da in einer Reitschule alle Abstandregeln und Hygienemaßnahmen eingehalten werden können.“

„Es sollte unter Berücksichtigung der Gegebenheiten eine Lösung für den Unterricht gefunden werden. So viel Luft und Raum mit Abstand findet bei keiner Sportart statt, das alles untergehen soll, kann nicht die Lösung sein.“

„Eine Erlaubnis von Einzelunterricht würde die Situation deutlich erleichtern“

Fazit

Stellvertretend für die Pferdesportvereine und Reitschulbetriebe in Nordrhein-Westfalen verdeutlichen die Teilnehmenden der Befragung, wie es um die wirtschaftliche Situation ihrer Schulpferdeabteilung bestellt ist. In einer erschreckend hohen Anzahl sind Existenzen bedroht. Bereits jetzt können einige Reitschule ihre Schulponys und Schulpferde nicht mehr halten. Das hat nicht nur unmittelbare Konsequenzen für die betroffenen Betriebe und Personen.

In der Folge stehen diese Pferde und Ponys nicht mehr für die Pferdesportler zur Verfügung. Besonders betroffen wären davon Kinder und Jugendliche, die in den Reitschulen und Vereinen auf den Schulpferdebetrieb angewiesen sind, wenn sie Kontakt zum Pferd haben möchten. Das gilt auch für Angebote mit Kitas und Schulen.

Was jetzt dringend benötigt wird

Natürlich wäre es die beste Lösung, wenn schnellstmöglich die Pandemie soweit bewältigt wäre, dass der Sportbetrieb wieder stattfinden und Vereine und Betriebe aus eigener Kraft wirtschaften können.

Bis es soweit ist und so lange die Einschränkungen dies verhindern, werden weiterhin wirtschaftliche Hilfen benötigt. Sie müssen aber so gestaltet werden, dass sie alle Betreibe und Vereine erreichen, die dieser Unterstützung für den Unterhalt der Schulpferde bedürfen. Mindestens muss sichergestellt sein, dass Mittel für die Unterhaltskosten (Futter, Schmied, Tierarzt) der Schul- und Voltigierpferde bereit gestellt werden.

Keinesfalls darf dabei ein Bild entstehen, dass Vereine und Betriebe hier „nur die Hand aufhalten“ wollten.  Tatsächlich bemühen sie sich zahlreich und eigeninitiativ um pragmatische Lösungen. In erheblichen Umfang erfahren sie auch Unterstützung von Mitgliedern, Kunden und Reitschülern und werden durch Hilfsaktionen vor Ort unterstützt. Das Problem ist, dass die Kosten für den Unterhalt der Pferde in der Regel schlicht höher sind, als solche Initiativen wirken können.

Die Kosten für Schulpferde (Futter, Einstreu, Hufschmied, Tierarzt) liegen etwa bei fünf bis sechs Euro je Tag.

Die Situation der Solo-Selbstständigen ReitlehrerInnen

Eine weitere Zielgruppe innerhalb des Pferdesports, die in erheblichen Maß von den pandemiebedingten Einschränkungen betroffen ist, sind selbstständig tätige Ausbilder*innen, die mobil unterwegs sind und im Schwerpunkt von der Erteilung von Reitunterricht leben. Ihre Situation wird vergleichbar verzweifelt beschrieben, wie die Lage von Solo-Selbstständigen in anderen Bereichen, beispielweise in der Kultur. Eine gleichzeitige Erfassung dieser Situation innerhalb der Befragung zur Schulpferdesituation war jedoch nicht möglich und ist daher nicht Gegenstand dieser Betrachtung. Sie unerwähnt zu lassen wäre jedoch ein völlig falsches Signal.

Die Befragung wurde online im Zeitraum Dezember 2020 / Januar 2021 durchgeführt. Kernadressaten waren die Mitgliedsvereine und angeschlossenen Pferdebetriebe der Pferdesportverbände Rheinland und Westfalen. Die Teilnahme war gleichermaßen Betrieben und Reitschulen möglich, die den Verbänden nicht angehörten. Die Aufforderung zur Teilnahme erfolgte durch Information über digitale Medien, vor allen Dingen über E-Mail-Newsletter der Verbände.

© Münster, 2021
Landesverband der Pferdesportvereine Nordrhein-Westfalen e.V.

Pferdesportverband Westfalen e.V.
Sudmühlenstr. 33, 48157 Münster
0251 - 3 28 09 30 | zentrale@pv-muenster.de

Pferdesportverband Rheinland e.V.,
Weißenstein 52, 40764 Langenfeld
02173 - 1011 100 | info@psvr.de

 

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Brigitte Hein

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Typ Dokument
Corona-Umfrage